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Aktuelles

16. Juni 2024

Wie man nicht digitalisiert: Das Deutschlandticket für Studierende

Lange wurde es angekündigt, lange drüber verhandelt, dann erfolgte Ende November 2023 die Einigung für das Deutschlandticket für Studierende. Im Sommersemester 2024 wird es an den ersten Hochschulen eingeführt, auch in NRW.
Und mit der Einführung gehen einige Verschlechterungen für Studierende einher. Grundsätzlich haben wir an der Einführung des Deutschlandtickets schon von Beginn an auszusetzen, dass die Studierenden nicht in die Verhandlungsprozesse eingebunden waren, obwohl sie seit Jahrzehnten mit Verkehrverbünden solidarisch finanzierte Tickets verhandeln und wichtige Kunden:innen für diese darstellen. Das Ticket wird zudem zwar günstiger, aber es fallen mit der Mitnahmeregelung für Fahrräder und Personen auch Bestandteile weg.

Die technische Umsetzung des digitalen Tickets wird durch Landesgesetze konkretisiert. Und diese ist in NRW eine digitalpolitische Katastrophe.
Ganz im Sinne der Digitalisierung: Das Deutschlandticket für Studierende gibt es in NRW digital in der Hochschul-App auf dem Smartphone, so wie die Vorgängertickets an vielen Hochschulen. An den Universitäten der Universitätsallianz-Ruhr wird es aber nicht mehr zusätzlich in der Variante zum Ausdrucken angeboten. Das sei im Sinne des Gesetzes zum Deutschlandticket nicht digital genug. Hochschulen sei es nicht mehr gestattet, das Ticket zum Herunterladen anzubieten. Entsprechend ist es nicht mehr möglich, das Ticket als PDF herunterzuladen und auszudrucken. Chipkarten, die für die Standardversion des Deutschlandtickets oft ausgegeben werden, möchten die lokalen Verkehrsbetriebe im allgemeinen für Studierende nicht ausstellen und verweisen auf Kosten und die allgemeine Knappheit an Chipkarten. Das Ergebnis: Der Zugriff kann nur per Hochschul-App auf dem Android oder iOS-Smartphone erfolgen. Damit sind faktisch alle Studierenden, die kein Smartphone haben, vom Semesterticket ausgeschlossen. Genau so sind alle, die ein Smartphone ohne Android oder iOS besitzen ausgeschlossen. Von einigen Seiten kann man sich an dieser Stelle anhören, dass es diese Studierenden gar nicht gäbe. Dass sich die ASten im Moment mit über diese Tatsache entzürnten Studierenden auseinander setzen müssen, zeichnet ein anderes Bild.

Zu dieser Situation haben wohl verschiedene Aspekte geführt. Technische Gründe gehören nicht dazu. Einerseits gibt es die gesetzliche Vorgabe, dass das Ticket um jeden Preis papierlos sein muss. Das ist das Verständnis von Digitalisierung mancher in der Bundesregierung. Gleichzeitig soll Studierenden, denen während des Semesters der Anspruch auf das Ticket entfällt, das Ticket entzogen werden können. Beim klassischen Semesterticket war das nicht so. Anstatt sich zu überlegen, wie man eine solche digitale Zugangskontrolle umsetzt, wurde das etablierte System von Fahrkarten, in dem ein Ticket immer gültig bleibt, einfach in einen digitalen Umschlag gepackt. Anstatt das Ticket selber zu deaktivieren, bleibt das Ticket aktiv, lediglich der Zugang zur Anzeigeapp wird entzogen. Das ist halbherzige Digitalisierung.
Die Behauptung seitens der Verkehrsbetriebe, dass sich der 2D-Code, der in der App angezeigt wird und früher auch ausgedruckt werden durfte, ändern müsse und es deshalb unmöglich wäre ihn auszudrucken, ist falsch und aktuell auch technisch nicht umgesetzt: Die Hochschulapp zeigt, wie in den vergangenen Semestern, einen scannbaren 2D-Code an, der über den Zeitraum des Semesters gleich bleibt. Dieser lässt sich, vorausgesetzt man kann die Hochschul-App nutzen, problemlos über den Umweg eines Screenshots, ausdrucken. Durch eine Analyse der App ergab sich, dass technisch Versierte auch direkt die Schnittstelle der Hochschul-App ansprechen können und auf diese Weise mit ihrem Hochschul-Konto, ihr persönliches Ticket als Bild herunterladen können. Grundsätzlich gibt es also mehrere Möglichkeiten, sich dem Entziehen zu entziehen. Entsprechend verfehlt die aktuelle Umsetzung sogar auf einfachste Weise ihre eigenen Ziele. Das wird mit der Forderung unterbunden, das Ticket müsse in einer App angezeigt werden. Eine Möglichkeit das Ticket richtig zu digitalisieren wäre, das Kontrollsystem für scannbare 2D-Tickets mit einer Datenbank zu verbinden, in der geprüft werden kann, ob der Studierendenstatus aktuell und das Ticket damit gültig ist. Dann kann der 2D-Code immer noch statisch bleiben. Mit anderen Worten: Das Code-Lesegerät wäre schlau und minutengenau und nicht der Code selbst. Mit Bezug auf die im Bundesgesetz geforderte Digitalität wäre ein solches System sicher, papiersparend und eben digital. Für die Digitalität des Tickets ist nicht wichtig, ob man es ausdrucken kann oder nicht, sondern wie seine Gültigkeit bestimmt wird. Und daran ist überhaupt nichts digitaler als vorher. Stattdessen gibt es nun ausgeschlossene Studierende.

Wie Gesellschaftliche Teilhabe und Digitalisierung richtig geht!

Anhand des Deutschlandtickets wird deutlich, dass Ausmaß sowie Art und Weise digitalisierter Leistungen in unserer Gesellschaft nicht zu Ende gedacht und vor allem gar nicht verstanden sind. In der Pandemie gab es eine klare gesellschaftliche moralische Grenze in Bezug auf die Smartphone-Pflicht: Was wäre wohl 2021 los gewesen, wenn man einen Corona-Impfnachweis nur per Smartphone hätte erbringen können? Zwischen “jede Leistung muss analog verfügbar sein” und “jede Leistung muss ausschließlich digital verfügbar sein” gibt es viel Spielraum. Dabei muss eine Vielzahl von Faktoren beachtet werden. Typisch für solche Debatten ist, dass es in weiten Teilen der Gesellschaft und eben auch bei Entscheider:innen in Behörden und Politik an digitaler Kompetenz fehlt, um solchen Debatten souverän zu begegnen. Ebenso ist dieser Fall ein gutes Beispiel dafür, dass es unserem sozialpolitischen Anspruch nicht genügt, einfach nur nach digitalen Lösungen zu schreien, die unser Leben einfacher und besser – eben digitaler- machen. Wir formulieren den Anspruch nach einer sozialistischen und in vielen Aspekten auch feministischen Digitalpolitik, die verhindert, dass die fortschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft dazu führt, dass Menschen besser kapitalistisch ausgebeutet werden können und einige nicht mehr teilhaben können. Daher möchten wir im folgenden vertretbare Grenzen und wichtige Aspekte digitaler Leistungen aus antikapitalistischer und inklusiver Sicht herleiten.

Digitalisierung für alle

Unsere Gesellschaft ist in Bezug auf Technik sehr heterogen. So sind vor allem Ältere weniger technikaffin. Allgemein ist digitale Kompetenz in unserer Gesellschaft sehr unterschiedlich ausgeprägt. Gleichzeitig gibt es altersunabhängig Menschen mit Behinderung, denen der Zugang zu Technik erschwert ist. Dazu kommen Menschen in Armut, die sich teure Technik nicht leisten können. Schlussendlich gibt es Menschen, die bewusst keinerlei Computer besitzen möchten. All diese Menschen dürfen durch digitalen Wandel nicht abgehangen werden!

Den Besitz eines Computers oder eines Smartphones vorauszusetzen, ist also grundsätzlich schwer vertretbar. Daher müssen digitale Leistungen, im besten Fall einen analogen Zugang haben. Ist das unmöglich oder der Aufwand zu groß, so muss das Abrufen der Leistung über einen einmaligen digitalen Zugriff möglich sein. Zum Beispiel durch das Herunterladen und Ausdrucken eines Zugangscodes. Ein einmaliger Zugang ist deshalb so wichtig, weil er keinen dauerhaften Besitz oder das Mitführen eines Computers voraussetzt. Dadurch können auch öffentliche Computer benutzt werden. Zusätzlich können dritte Personen, das nur einmal erforderliche Abrufen in solchen Fällen übernehmen.

Was Ticket-Apps mit Plattformkapitalismus zu tun haben

Als Jusos kritisieren wir die Übermacht von Großkonzernen generell. Das bezieht sich natürlich auch auf digitale Großkonzerne. Zur Zeit gibt es einige wenige Konzerne, die viel genutzte Plattformen besitzen. Auf EU-Ebene wurde das Problem mittlerweile auch erkannt, so wurde der Digital Markets Act und Digital Services Act letztes Jahr aktiv. Diese wenigen Konzerne sind namentlich Microsoft, Apple und Google. Auf Smartphones kommt noch erschwerend hinzu, dass der Bezug von Software (Apps) aus Drittquellen erschwert ist und am einfachsten über den Google Play Store, bzw. Apple App-Store möglich ist.

Den Firmen kommt dabei der bekannte Netzwerkeffekt zugute: Software wird vor allem auf den Plattformen angeboten, die bereits viele Nutzer:innen haben. Nutzer:innen wählen vor allem Plattformen, für die es gewünschte oder benötigte Software gibt. Das alles erzeugt eine Abhängigkeit zwischen den Nutzer:innen und den digitalen Großkonzernen. Eine digitale Leistung nur auf diesen Plattformen anzubieten, heißt also, dass die Bürger:innen sich zum Abrufen in die Hände dieser Konzerne geben müssen. Dabei müssen sie deren Willkür bei preislichen, ethischen, Sicherheit- und Datenschutzvorstellungen hinnehmen. Aus antikapitalistischer Sicht ist das alles für sich genommen kritikwürdig.

Um gegen den Plattformkapitalismus vorzugehen, ist es also wichtig, dass digitale Leistungen möglichst plattformunabhängig angeboten werden. Gerade wenn ein Dienst von staatlicher Seite angeboten oder sogar verpflichtet wird, sollte das umgesetzt werden. Dabei hilft es auch enorm, wenn die Software Open-Source ist, sodass sie gegebenenfalls von dritten auf weitere Plattformen gebracht oder zur Nutzung ausgegeben werden kann. Ein Vorzeigebeispiel ist dabei die AusweisApp, mit der der Personalausweis eingelesen werden kann. Verkehrsbetriebe werden diesem Anspruch mit ihren Tickets-Apps aktuell noch nicht gerecht.

Was bedeutet das alles zusammen?

Es ist zumutbar, dass der Abruf einer Leistung digital erfolgt. Das darf allerdings nicht den dauerhaften Besitz eines Geräts oder eine bestimmte Software voraussetzen. Ein Download des Tickets über eine barrierefreie Website in PDF Form ist in Ordnung. Gibt es Lösungen, die die dauerhafte Nutzung von Software bedingen, wie zum Beispiel eine App oder eine Software, dann sollte diese plattformunabhängig und digital sein. Eine Ticket-Lösung, die die kontinuierliche Nutzung von Software bedingt, ist demnach nicht solidarisch.

Zurück zum Deutschlandticket

Gemessen an unserem Anspruch an eine inklusive solidarische Gesellschaft scheitert die Lösung kläglich: Eine Smartphonepflicht, die bestehende kapitalistische Plattformmonolope fördert. Infolge dessen melden sich zurecht bei ASten erzünte Studierende, die vom Ticket ausgeschlossen sind. Dazu kommt noch, dass es wie erläutert keinen technischen Grund gibt, sondern höchstwahrscheinlich mangelnde digitale Expertise auf Landesebene und Verantwortungsdiffussion über alle Ebenen hinweg dahintersteckt.

Wäre das nicht benachteiligend gegenüber einigen Studierenden, könnte man diese Tatsachen mit Humor nehmen und für ein gutes Beispiel mangelnder digitaler Kompetenz in Behörden und Verbänden halten. So ist es eine Katastrophe. Und für uns ist klar: So wie die Umsetzung gerade ist, kann sie nicht bleiben. Wir appellieren daher:

  • An die Gesetzgebung: Das Medium eines scannbaren Codes ist egal, Papier, App oder PDF macht keinen Unterschied. Insbesondere an die FPD: Es ist besser später zu digitalisieren, als falsch zu digitalisieren.
  • An die Hochschulen: Stellt die Apps Open-Source und möglichst plattformunabhängig bereit.
  • An die Verkehrsverbünde: Wenn man digitalisiert, dann richtig. Erlaubt wieder PDFs und Ausdrucke.

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